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EZB verschleiert gefährlichen Einfluss der Niedrigzinsen

EZB verschleiert gefährlichen Einfluss der Niedrigzinsen

Was sind die grössten Gefahren für die Stabilität des Finanzsystems? Dazu haben EZB und Bundesbank fast zeitgleich ihre Einschätzungen veröffentlicht. Die Tonlage in Sachen ultratiefer Zinsen unterscheidet sich deutlich, die Risikoanalyse ist ähnlich.

Michael Rasch, Frankfurt

29.11.2017, 15:12 Uhr

Die EZB sieht in Niedrigzinsen derzeit offenbar keine grosse Gefahr. (Armando Babani / EPA)

Die seit vielen Jahren extrem tiefen Zinsen dürften wohl zu den wichtigsten Risiken für die Finanzstabilität gehören. Doch in der Pressemitteilung der Europäischen Zentralbank (EZB) zum turnusmässigen Finanzstabilitätsbericht taucht das Thema Niedrigzinsen gar nicht auf. Erst auf Nachfrage räumt Vítor Constâncio ein, dass eine schnelle Zinsänderung zu den Risiken in der Euro-Zone zählt. Der Vizepräsident der EZB verweist jedoch sogleich darauf, dass die extrem tiefen Zinsen nicht nur eine Folge der Politik der Zentralbanken seien, sondern auch die realen Zinssätze sehr niedrig seien. Zudem sei das primäre Mandat der EZB die Preisstabilität und nicht die Finanzstabilität. Zur Beruhigung führte Constâncio an, dass es in Europa keine generelle Überbewertung von Vermögenswerten gebe und die Kreditvergabe durch Banken weiterhin gedämpft sei.

Warnung vor langer Niedrigzinsphase

Spürbar anders ist die Tonlage hingegen bei der Deutschen Bundesbank, die am Mittwoch ebenfalls ihren Finanzstabilitätsbericht 2017 veröffentlichte. Die anhaltend niedrigen Zinsen und das hohe Wirtschaftswachstum könnten dazu führen, dass Risiken unterschätzt würden, heisst es von der Währungsbehörde. In Deutschland sind die Risiken niedriger Zinsen besonders ausgeprägt, da die Geschäftsmodelle vieler Banken stark auf das Zinseinkommen ausgerichtet sind. Aufgrund des äusserst niedrigen Zinsniveaus sind die Erträge im klassischen Einlagen- und Kreditgeschäft deutlich zurückgegangen. Die von der EZB eingeführten Strafzinsen drücken darüber hinaus zusätzlich auf die Profitabilität der Banken. Mit einer Eigenkapitalrendite von gerade einmal 2,1% im Jahr 2016 rangieren die deutschen Institute laut Bundesbank im europäischen Vergleich am unteren Ende der Skala.

 

Würde die Niedrigzinsphase unerwartet lange dauern, kämen aus Sicht der Bundesbank vor allem kleine und mittelgrosse Banken sowie Lebensversicherer noch stärker unter Druck. Diese haben ohnehin inzwischen höhere Anreize, grössere Risiken einzugehen – etwa indem sie in riskantere Wertpapiere investieren. Gefährlich dürfte es zudem dann werden, wenn die Zinsen schnell und stark steigen, wie sowohl EZB als auch Bundesbank konstatieren. Die deutschen Institute hatten in den vergangenen Jahren ihre Fristentransformation ausgeweitet, um die Erträge in Zeiten sehr niedriger Zinsen zu stabilisieren. Dies geschah, indem sie die Laufzeiten und die Zinsbindungsfristen ihrer Kredite erhöhten.

 

EZB sieht derzeit vier Hauptrisiken

 

Die EZB sieht derzeit primär vier Risiken. Erstens könnte es an den Finanzmärkten zu einer schnellen Neubewertung von Vermögenswerten kommen, etwa durch auftretende geopolitische Risiken oder sich ändernde Wachstums- und/oder Inflationserwartungen. Derzeit sind die Risikoprämien und die Volatilität an den Märkten extrem niedrig. Das stärkere Eingehen von Risiken sei daher eine Sorge, heisst es von der EZB. Eine sehr hohe Bewertung von Anlageklassen wie beispielsweise Aktien sieht das Institut allerdings vor allem in den USA, weniger in der Euro-Zone.

 

Zweitens stünden die Banken weiter vor Herausforderungen in Sachen Gewinne. Diese hätten sich zwar wegen höherer Einnahmen ausserhalb des Kreditgeschäfts verbessert, es gebe aber noch grosse Unterschiede bei der Bewertung der Banken, der Aktienkursentwicklung sowie den Gewinnaussichten. Notleidende Kredite blieben zudem in einigen Regionen ein Problem. Mehrere strukturelle Herausforderungen würden den Gewinnausblick für Banken betreffen, etwa Überkapazitäten, mangelnde Diversifikation bei den Gewinnen und ineffiziente Kostenstrukturen. Kein Wort fällt allerdings vonseiten der EZB darüber, dass die extrem tiefen Zinsen und nicht zuletzt die Strafzinsen für Banken ebenfalls stark auf die Profitabilität der Institute drücken.

 

Drittens gebe die hohe öffentliche und private Verschuldung Anlass zu Sorgen über die Schuldentragfähigkeit in einigen Ländern. Ein Zinsschock in Form von schnell und stark steigenden Zinsen könnte die Refinanzierungskosten von hochverschuldeten Ländern verschärfen. Mittelfristig würden allerdings ein stärkeres Wachstum und eine steigende Inflation bei der Bewältigung der Schulden helfen, sagte Constâncio. Viertens ortet die EZB Risiken bei Investmentfonds. Diese hätten ihre Risiken in den vergangenen Jahren erhöht, indem sie stärker in mässig bewertete Schuldpapiere investiert hätten. Dass eine wichtige Ursache hierfür die Jagd nach höheren Renditen im Tiefzinsumfeld sein dürfte, erwähnte Constâncio nicht.

 

Gefahr eines tränenreichen Endes

 

Insgesamt sieht die EZB in drei von vier Schlüsselbereichen ein mittleres systemisches Risiko, das sich im Vergleich zum letzten Finanzstabilitätsbericht nicht geändert hat. Die Bundesbank sorgt sich zudem darüber, dass die Risikotragfähigkeit des Finanzsystems insgesamt überschätzt werden könnte. Gerade der Markt für Wohnimmobilien sei ein wichtiges Feld für die Stabilität des Systems, denn deren Finanzierung mache in Deutschland die Hälfte aller Kredite von Banken an den Privatsektor aus und sei für mehr als zwei Drittel der Verschuldung privater Haushalte verantwortlich. Laut Modellrechnung der Bundesbank waren Wohnimmobilien im Jahr 2016 zwischen 15 und 30% überbewertet. Wenngleich die Bundesbank die Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung insgesamt noch als begrenzt ansieht, weil sich das Kreditwachstum und die Kreditvergabestandards unauffällig entwickelt hätten, könnte hier auf den Boom doch ein tränenreiches Ende folgen.